Montag, 2. September 2013

Eine schöne Bescherung Teil 4

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  Der Radiowecker ertönte, ein neuer Tag, der 23. Dezember, brach an. Es war 6:30 Uhr und Andreas wachte aus einer kurzen, unruhigen Nacht auf.

Viel Erholung war ihm nicht vergönnt gewesen, doch damit hatte er auch nicht unbedingt gerechnet. Die Entscheidung, ob er in die Schule gehen sollte oder nicht, hatte ihn seit gestern recht gut auf Trab gehalten. Diese Frage, und welche Überraschung Lisa sich für ihn wohl ausgedacht haben könnte.
Der verschlafene Teenager richtet sich im Bett auf. Sofort merkte er, dass er die verkürzte Nacht nicht trocken überstanden hatte. Die Windel fühlte sich an wie ein warmes, vollgesogenes Sitzkissen und war wohl kurz vorm Überlaufen. „Schwein gehabt,“ dachte er sich, „Obwohl es eigentlich erstaunlich ist, dass ein Mensch in der Lage ist, in 3 Tagen aus nicht mal 2 Litern Cola derart viel Urin zu produzieren. Entweder hatte ich noch Restbestand oder ich sollte mich mal durchchecken lassen....“
Andreas schlug die Bettdecke zurück, rieb sich den Schlaf aus den Augen und ging zum Fenster. Obwohl es noch dunkel war, konnte man klar erkennen, dass die dicke Wolkenschicht auch heute der Sonne keine Chance lassen würde. Die volle Windel zwischen seinen Beinen zog ihn unerwartet stark Richtung Boden, als wolle sie damit klarmachen, dass er hier in seinem Zimmer bleiben solle. Fast den ganzen restlichen Tag gestern und quasi die komplette Nacht hatte er über die Standpauke, die ihm Lisa vorgetragen hatte, nachgedacht, und er hatte sich kurz vor dem Einschlafen, vermutlich so gegen 5:00 Uhr, zu einer Entscheidung durchgerungen. Er würde in die Schule gehen! Und das aus den einfachen Gründen, die ihm seine beste Freundin gestern schon genannt hatte. Es brachte einfach nichts, wie ein Feigling, noch einen Tag länger hier zu bleiben und den Kopf einzuziehen. Lieber würde er es jetzt hinter sich bringen und darüber irgendwann später stolz sein. Ein mulmiges Gefühl hatte er jetzt, so unmittelbar davor, dennoch.
In der Hoffnung es würde sich auf diese Weise bessern, begann er erst Mal damit, sich die Nachtwindel abzunehmen. Er legte sich mit dem Rücken zurück auf sein Bett und begann das Paket, 1 Tena Super Plus Gr. S und eine in M, aufzumachen. Bereits nach dem Öffnen der ersten Windel strömte ihm der typisch saure Uringeruch entgegen, der ihn, auf Grund seiner langjährigen „Erfahrung“, mittlerweile nicht mehr viel ausmachte. Dass er beim Wickeln die kleinere, noch am Körper verschlossene, Windel sorgfältig mit einer Nagelschere durchlöchert hatte, bewahrte ihn nun vor einem nassen Bett. Wieso die Großen Hersteller nicht schon längst extra Windeln mit einer durchlässigen Außenhülle für darunter auf den Markt gebracht hatten, war dem junge Windelträger ein Rätsel. Klar es gab Einlagen, die man stückweise zusätzlich in die Windel legen konnte, aber das erschien ihm als wesentlich umständlicher, als eine „große Einlage“ zu verwenden. Vermutlich alles bloß eine Frage des Kommerzes und der Gewohnheit... Andreas fuhr fort und öffnete nun auch die zweite Tena und entsorgte beide in den Müll. Danach reinigte er sich selbst mit ein paar Feuchttüchern und hielt schließlich inne. „Soll ich mir jetzt wieder Windeln anziehen? Wenn die mich heute wieder alle auslachen, könnte es leicht passieren, dass ich wie auf dem Eis erneut die Kontrolle verliere... Und mal abgesehen davon, jetzt weiß es doch eh schon jeder, also was soll‘s!“
Halbwegs entschlossen holte Andreas also wieder zwei Tena-Windeln aus seinem Schrank und legte sich zurück aufs Bett. Im „Do-it-youself-Wickeln“ hatte er mittlerweile schon Übung und so dauerte es keine 5 Minuten bis alles an seinem Platz war. Ab diesem Zeitpunkt war er wieder ein „normaler“ 17 Jahre alter Teenager, der mit wenig Motivation und dafür umso größerer geistiger Abwesenheit seine allmorgendliche Routine herunterspielte. Socken, Hose, T-Shirt, Sweatshirt an, heute ohne dabei auf spezielle Vorsichtsmaßnahme zwecks Verbergung zu achten, im Anschluss hinunter in die Küche und frühstücken. Als er den Raum betrat, stand seine Mutter schon am Küchentresen und machte ihm eine paar Brote für die Pause zurecht. „Merkwürdig... hat die was geahnt? Oder war doch sie es, die Lisa zu mir geschickt hat,“ fragte er sich.
„Guten Morgen! Na hast du gut geschlafen?“
„Ehrlich gesagt nicht besonders... “ antwortete Andreas und setzte sich langsam an den Küchentisch.
„Oh, das tut mir Leid,“ meinte seine Mutter in bedauerndem Tonfall. Das war ihrem Sohn etwas zuu normal. Er musste sich Gewissheit verschaffen!
„Schon gut. Sag mal woher wusstest du eigentlich, dass ich ausgerechnet heute wieder in die Schule gehen würde?“
„Na woher schon? Ich bin immerhin deine Mutter, ich kenne dich.“
Damit war er nicht zufrieden: „Aha. Und du hast nicht zufälligerweise Lisa gestern darum gebeten, bei mir oben im Zimmer vorbeizuschauen, damit sie mich zum Schule gehen überredet?“
„Nein hab‘ ich nicht. Ich war selbst ein wenig überrascht, als ich sie gestern plötzlich vor der Tür stehen sah. Wirklich eine echt gute Freundin hast du da, das muss ich sagen! Aber wenn du schon in aller Herrgottsfrühe deiner eigenen Mutter gegenüber so skeptisch sein willst, ich bin deshalb aufgestanden, weil ich beobachten und schlussfolgern kann. Als Lisa gestern vor der Tür stand, hat sie ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter gemacht und als sie wieder gegangen ist, sah sie wieder so fröhlich und strahlend aus wie sonst auch. Verstehst du worauf ich hinaus will Columbo?“ „Klar, immerhin bin ich „dein Sohn“, soll heißen erblich bedingt muss ich wohl auch ein wenig schlussfolgern können,“ antwortete Andreas, wobei er das „dein Sohn“ übertrieben betonte.
Zur Rache drehte sich seine Mutter um und bewarf ihn mit ein paar Brotkrümeln. „Werd‘ nicht frech „mein Sohn“,“ meinte sie danach und drohte ihm scherzhaft noch mit erhobenem Finger.
„Was willst du dagegen tun? Mir macht’s nichts aus wenn du den Boden dreckig machst. Ich muss ja nicht staubsaugen.“
„Na warte!“ Seine Mutter stürzte sich auf ihn und hob den Stuhl von hinten auf, sodass Andreas herunterfiel und lachend auf allen Vieren landete. Seine Mutter stimmte in das Lachen mit ein und sah außerdem die Windel aus der Hose ihres Sohnes hervorblitzen, woraufhin sie ihn ansprach: „Du trägst ja heute sogar freiwillig eine Windel.“ Andreas‘ Lachen ebbte daraufhin schnell ab und er stand wieder auf. Er erklärte ihr, wieso er sich dazu entschlossen hatte und er erzählte ihr von der Überraschung, die Lisa sich für ihn ausgedacht hatte. Als er sie danach fragte, wusste seine Mutter auch nicht weiter. Sie munterte ihn stattdessen noch ein wenig auf: „Du wirst sehen, es wird halb so schlimm und nachher bist du mit Sicherheit froh, dass du es durchgezogen hast. Lass dir am besten einfach nichts anmerken und Lisa wird dir sicher auch beistehen. Außerdem bedenk‘ doch mal Folgendes: Jetzt weißt du zumindest auch, wer von denen ein wahrer Freund war und wer nicht. Sei froh darum!“
Und so machte Andreas sich schließlich auf den Weg. Er putzte noch seine Zähne, packte die Jause in die Schultasche, zog sich an und schloss die Tür hinter sich. Auf dem Weg zur Bushaltestelle fühlte er sich tatsächlich ein wenig besser. Erst als das Wellblechdach des dunkeln Holzhäuschens in Sichtweite kam, fing sein Herz wieder an zu rasen. „Bleib einfach ruhig. Ganz ruhig. So ist es am besten für dich! Wenn du dir nichts anmerken lässt, werden sie dich vermutlich sowieso schnell in Ruhe lassen,“ waren die letzten motivierenden Gedanken an sich selbst, kurz bevor er zu Haltestelle kam. Noch einmal tief durchgeatmet und mit einem Schritt stand er direkt vor Alex und Martin, zwei seiner Ex-besten Freunde.
Als sie ihn bemerkten, machte sich auf ihren Gesichtern sofort ein breites Grinsen breit. „Na sieh mal an wer heute tatsächlich aus seinem Bettchen hat aufstehen dürfen. Ist es nicht noch ein wenig zu früh für so einen kleinen Hosenscheißer wie dich,“ höhnte Alex ihn an, woraufhin Martin zu lachen anfing. Andreas antwortete nichts darauf und zeigte auch sonst keine Regung.
„Was is‘ los? Kannst du noch nicht sprechen? Hat dir deine Mami das noch nicht gelernt,“ fuhr Alex in einer lächerlichen Babysprache fort. Der Angesprochene zeigte weiterhin keinerlei Reaktion.
„Hey vielleicht hat er sich ja gerade in die Hosen gemacht und ist deswegen sprachlos,“ stimmte nun auch Martin in den Spott mit ein. Die beiden lachten wieder laut auf, dann sagte Alex mit einem höhnischen Grinsen: „Ja da hast du Recht. Wir sollten ihm einen Gefallen tun und mal nachsehen, meinst du nicht auch?“
„Ja ich denke das würde er uns hoch anrechnen!“
Alex kam breit lächelnd und langsam auf Andreas zu, machte einen schnellen Ausfallschritt auf die Seite und langte von hinten nach seinen Armen um ihn festzuhalten. Martin kam von vorne auf ihn zu und griff nach seinem Gürtel. Die beiden wollten ihm wohl tatsächlich die Hose runterziehen. „Aber nicht mit mir,“ dachte sich Andreas.
Martin machte sich gerade daran seine Gürtelschnalle zu öffnen, als ihm der vermeintlich wehrlose mit dem rechten Bein kräftig in den Schritt trat. Daraufhin heulte dieser laut auf und krümmte sich am Boden zusammen. Alex hielt ihn immer noch fest und Andreas versuchte sich mit Hilfe von heftigen Ruckbewegungen loszureißen. „Hast du n’Knall? Du kannst ihm doch nicht einfach in die Eier treten! Was ist nur los mit dir? Und ich dachte echt mal wir wären Freunde,“ schrie ihm Alex von hinten ins Ohr. Andreas wollte gerade zu einer bissigen Antwort ansetzten, als plötzlich jemand anders ihm zuvor kam.
„Hört auf,“ schrie Lisa laut hörbar in den Tumult hinein. Während ihres Ringens war sie ihnen gar nicht aufgefallen. Umso größer war die Überraschung nun, als sie unerwartet und breitbeinig vor ihnen auf der Bildfläche erschien, um ihnen Einhalt zu gebieten. Dazu hätte sie aber im Nachhinein gesehen wahrscheinlich nicht einmal den Mund aufmachen müssen. Andreas und Alex starrten sie beide mit gleichermaßen weit aufgerissenen Mündern und Augen an. Die „Überraschung“ hatte ihre Wirkung nicht verfehlt!
Lisa stand dort vor ihnen, dick gewickelt und mit einer engen, weißen Jeans, hohen, braunen Wildlederstiefeln, einer rosa Daunenjacke und einer weißen Strickmütze mit Fellbommel bekleidet. Sie sah die beiden ernst an, was obgleich ihrer Garderobe ein wenig lächerlich wirkte, doch immer noch sprach niemand ein Wort. Andreas riss sich reflexartig von Alex los, der aber auch überhaupt keine Anstalten mehr machte, Gegenwehr zu leisten. Es gab ihm jedoch den nötigen Impuls und er fing wieder an zu lachen. Er lachte schließlich so heftig, dass er in die Knie gehen musste und sich den Bauch hielt. Es wirkte irgendwie grotesk, fast wie aus einem Comic. Martin konnte nicht wirklich miteinstimmen, und wenn dann nur 2 Oktaven höher als üblich, was ihm wohl aber eher peinlich gewesen wäre. Als es schon beinah absurd wurde, wollte Andreas wieder auf Alex losgehen, doch Lisa hielt ihn sanft zurück. Irgendwann erfing sich Alex wieder und stand auf: „Das wird ja von Tag zu Tag besser! Ich glaub’s nicht, hättest du noch mehr Freunde, würde sich vermutlich bald die halbe Klasse wickeln lassen!“
„Auf Freunde wie dich kann er verzichten! Du armseliger, unterbelichteter Vollidiot,“ giftete ihm Lisa zurück.
„Was, ich soll der Vollidiot sein? Sie dich doch mal selber an. Du siehst aus wie ein Baby!“
„Na und? Vielleicht gefällt es mir.“
„Ja genau! Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass es Menschen auf diesem Planeten gibt, die freiwillig gerne ein Baby wären.“
„Dann solltest du vielleicht mal die Augen aufmachen und dein Hirn einschalten. Hier steht nämlich einer vor dir! Hast du etwa ein Problem damit?“
„Ob ich ein... hahahaha, ob ich ein Problem damit habe? Sehe ich etwa so aus? Ich glaub ich hab‘ seit Jahren nicht mehr so herzhaft gelacht!“
„Freut mich, wenn ich anderen Menschen so leicht eine Freude bereiten kann. Obwohl du ehrlich gesagt auf mich eher wie eine verräterische, scheinheilige, egoistische Ratte wirkst!“
„Hey jetzt beschimpf du mich nicht als scheinheilig. Du hast doch genauso über ihn gelacht, als er sich in die Hosen geschifft hat!“
Andreas warf Lisa einen schnellen, entsetzten Blick zu. Diese schüttelte daraufhin leicht den Kopf und antwortete gelassen: „Keine Ahnung ob nicht noch jemand auf dem Eis war, der mir ähnlich sah und mit dem du mich verwechselt hast, denn du hättest mich gar nicht sehen können. Falls es dir nicht aufgefallen ist, ich lag hinter ihm. Ich war diejenige die ihm die Hose runtergerissen hat und dann mit dem Gesicht nach unten auf’s Eis gekracht ist.“
„Pff, wenn du meinst. Mann ich weiß echt nicht warum du dir das antust. Was willst du mit diesem armen Hosenpisser? Du bist doch tausendmal was Besseres als der und im Gegensatz zu ihm steht dir die Windel auch noch ungefähr gleichmal so viel mehr.“
„Ohhhh, danke für das Kompliment,“ antwortet Lisa und blinzelte dabei zuckersüß mit den Augen, „Aber im Gegensatz zu dir kommt es mir nicht auf irgendwelche Krankheiten an, die jemand hat oder nicht und für die man nichts kann. Mir ist er allemal lieber als du, verlogene Schlange, und dieser Wurm dort unten!“
„Hey jetzt werd‘ nicht frech sonst...“
„Sonst was? Willst du etwa ein kleines, windeltragendes Mädchen schlagen? Oh wie tapfer von dir!“
Andreas hatte dem ganzen bisher nur gleichermaßen erstaunt und amüsiert zugesehen, aber jetzt konnte er sich ein Grinsen nicht mehr verkneifen. Unglaublich wie frech und selbstsicher Lisa in diesem Aufzug sein konnte. Er konnte sie dafür nur bewundern! Obwohl sie von ihnen beiden eindeutig kindlicher aussah, kam er sich nun wie das eigentliche Baby vor. Er hätte sich das wahrscheinlich nie im Leben getraut. Ohne ihre Hilfe wäre er mit Sicherheit immer noch zu Hause und würde den Kopf in den Sand stecken. Einfach unglaublich!
Martin hatte sich in der Zwischenzeit erholt und stand wankend neben Alex. Er blickte ihn zornig an. Andreas empfand kein bisschen Mitleid für ihn. Er war selbst schuld daran! Bevor die Diskussion zwischen Lisa und Alex noch weiter gehen konnte, fuhr der Schulbus ein, was Andreas irgendwie schade fand. Er hätte die Auseinandersetzung zu gerne weiter beobachtet.
Alex und Martin waren, nachdem sie ihnen noch einen giftigen Blick zugeworfen hatte, schon eingestiegen und Andreas wollte gerade Richtung hinteren Eingang gehen, um nicht zwanghaft viel Aufmerksamkeit zu erregen. Da zupfte Lisa ihn am Ärmel und sagte: „Hey, so kommst du mir heute nicht davon,“ und führte ihn zum vorderen Eingang, „Ich hab‘ mich doch extra so hübsch gemacht, da wär’s doch schade, wenn es dann nur der halbe Bus so richtig mitbekommen würde.“ Sie lächelte ihn dabei wieder an. Scheinbar war sie bisher hochzufrieden mit dem Ablauf ihrer Überraschung. Er lachte zurück, sagte „Du bist der Wahnsinn!“ zu ihr und folgte ihr dann widerstandslos.
Als sie den Bus betraten schrie Alex von hinten, aus dem Schutz der Masse: „Aufpassen, da kommt das jüngste Pärchen der Welt. Beide machen sich noch die Hosen voll, aber genauso voller Leidenschaft ist auch ihre Liebe!“ Er erntete dafür schallendes Gelächter von allen Insassen, abgesehen vom Busfahrer, der nur genervt die Türen zuschnappen ließ und irgendetwas von „scheiß Kinder“ murmelte, bevor er den Bus wieder in Bewegung setzte. Obwohl gerade so ziemlich das „Worst-Case-Szenario“ eintrat, das Andreas sich erdacht hatte, und zwar, dass wieder alle lauthals über ihn lachen würden, hielt der inkontinente Schüler überraschenderweise dicht. Er schrieb diesen Erfolg voll und ganz Lisa zu, die es tatsächlich geschafft hatte, dass er sich in keinster Weise ausgesetzt oder gedemütigt fühlte. Dadurch, dass sie mit der ganzen Sache so selbstsicher und locker umging, und die Aufmerksamkeit mit ihrem Outfit mindestens zweiteilte, war es für Andreas gut erträglich. Vor Allem die Tatsache, dass sie das alles freiwillig und nur für ihn tat, ließ ihn sämtliche Sorgen und Bedenken vergessen, und, er konnte es nicht verleugnen, den Schultag ein wenig genießen.
Die erste Aufregung hatte sich ein wenig gelegt und nachdem der Busfahrer sie beide angeschnauzt hatte, sich gefälligst hinzusetzten, stolzierte Lisa, als wäre sie ein Catwalk-Modell, den schmalen Gang im Bus hinunter, bis zur vorletzten Reihe, in der noch zwei Plätze frei waren. Andreas folgte ihr, wenn auch nicht mit der gleichen vollendeten Eleganz. Während der Busfahrt flaute die Erregung der Masse immer weiter ab und schließlich ließ man die beiden kurz vor Erreichen der Schule sogar in Ruhe. Da fragte Lisa Andreas schließlich mit breitem Grinsen: „Und gefällt dir die Überraschung bis jetzt?“
„Also wirklich, mir fehlen fast die Worte! Als du da vorhin an der Haltestelle urplötzlich aufgetaucht bist, hätt‘ ich mir sogar fast in die Hose gemacht... vor Überraschung,“ antwortete Andreas mit einem Zwinkern.
„Ganz ehrlich, das hat man dir auch angesehn‘! Aber du warst trotzdem nie so kurz davor wie Alex. Ich glaub ich hab‘ es da schon ganz leicht tröpfeln gehört... “ erwiderte Lisa mit verschwörerischem Blick. Der Bus bog gerade auf dem großen Wendeplatz vor der Schule ein, als Lisa wissen wollte: „Und bist du bereit?“
„Auf jeden Fall!“
„Ich meine auf Teil 2...“
„Wieso? Was hast du...,“ setzte Andreas an, doch da zog Lisa schon einen rosa Schnuller aus der linken Tasche ihrer Daunenjacke hervor und steckte ihn sich in den Mund. Ihm fiel zum zweiten Mal an diesem Tag die Kinnlade fast auf den Boden, woraufhin sie schelmisch meinte: „Mach wiiedäh tschu, ßonßt krigst du auch ainen!“
Sie stand auf und tapste breitbeinig wie ein kleines Kind hinter den restlichen Schülern her. Von denen hatte bisher noch niemand etwas gemerkt, doch als sie alle ausgestiegen waren, machte sich der übliche Verdächtige, Alex, sofort wieder bemerkbar: „Hahaha, ich kann heut‘ glaub‘ ich doch nicht in die Schule hahahaha, schnell bringt mich zum Arzt, ich erstick gleich vor lauter Lachen hahaha.“ Viele derer, die noch nicht außer Hörweite waren, stimmten wieder ein, doch Lisa konnten sie damit immer noch nicht beeindrucken. Sie ging auf Alex zu, der das wegen seiner heftigen Zwerchfellattacken gar nicht richtig mitbekam, und stellte sich mit leicht gespreizten Beinen vor ihn hin. Als Alex das schließlich bemerkte, blickte er sie amüsiert an und fragte: „Oh, lässt du es jetzt vor mir laufen? Du böses Mädchen! Das darf man ab... ahhhh! Du Miststück, was soll der Scheiß?“
Lisa hatte ihn mitten unter seiner selbstgefälligen Rede einfach rücklings in einen Schneehaufen geschubst, wo er nun fluchend und hilflos auf dem Rücken liegend dalag. Als Gegenreaktion auf Alex‘ Beschimpfungen nahm sie nun auch noch die Beine, soweit es mit dem dicken Windelpacket ging, zusammen, ging leicht in die Knie, legte die linke Hand darauf und verdeckte mit der rechten flachen Hand ihren Mund, in dem noch immer der rosa Schnuller steckte. Eine typische Marylin-Monroe-Geste gefolgt von einem unschuldigen „Uuuups“, das man wegen des Schnullers allerdings leider nicht so genau verstand. Jetzt war sie es plötzlich, die ein paar Lacher auf ihrer Seite hatte. Danach ging sie mit Andreas Hand in Hand ohne ein weiteres Wort Richtung Schuleingang.
In der Garderobe enthüllte sich schließlich noch der letzte Teil ihrer Überraschung. Zwar nicht mehr ganz so schockierend aber doch für ein paar dämliche Blicke gut, war das weiße, etwas zu kleine T-Shirt, mit einem Prinzessin Lillifee-Motiv als Aufdruck. Darüber trug Lisa noch eine einheitlich rote Sweat-Shirt-Jacke.
„Mir scheint, du hast auf jedes Detail geachtet,“ bemerkte Andreas.
„Naatüalitsch, daas isch toch...“
„Sei doch so gut und nimm den Schnuller zumindest zum Sprechen heraus,“ unterbrach Andreas sie schnell. Lisa zog ein trauriges Gesicht und befolgte dann aber doch lachend seine Bitte.
„Hast Recht, so geht’s einfacher. Also, was ich sagen wollte: Natürlich, das ist doch selbstverständlich! Das Shirt hab ich mir, wie man ja deutlich erkennen kann, von meiner kleinen Schwester stibitzt. Die Jacke ist von meinem Papa. Nur für den Fall, dass mich ein Lehrer wegen dieses ultraheißen und knappen Teils blöd anmacht.“
„Das ist genial,“ lachte Andreas.
„Und das für ne‘ 1-jährige, nicht schlecht oder?“
„Ganz und gar nicht. Zu der Zeit war ich noch nicht mal trocken!“
„Haha, der war auch gut!“
Die beiden machten sich auf den Weg in ihre Klasse. Lisa verzichtete dabei wieder auf ihren Schnuller. Der restliche Schultag verlief ohne weitere wirklich aufregende Ereignisse. Den meisten Lehrern schien Lisas‘ merkwürdiges Outfit gar nicht aufzufallen. Sie waren wohl allesamt schon im Ferienmodus und kontrollierten bloß die Anwesenheit ihrer Schüler und schoben danach gleich einen uralten Film nach dem anderen in den Fernseher hinein. Als der Tag um war und Lisa sich bei Andreas darüber beschwert hatte, dass keinem dieser abgestumpften Professoren ihr neuer Look aufgefallen war, gingen die beiden noch ins örtliche Kaffee. Dort angekommen bestellten sie sich zwei Latte Macchiato und zwei Eisbecher. Als sie fertig waren fragte Andreas Lisa schließlich die Frage, die ihn schon seit gestern geplagt hatte: „Hat meine Mama dich eigentlich gebeten, dass du bei mir vorbeischaust?“
Lisa zog die Augenbrauen zusammen. „Nein, wie kommst du drauf?“
„Naja, um ehrlich zu sein, dass du dir wegen des kleinen Vorfalls auf dem Eislaufplatz wirklich so ein schlechtes Gewissen gemacht hast, kam mir ein wenig Spanisch vor.“
„Das war aber nicht vorgespielt, das kannst du mir glauben. Ich hatte wirklich große Schuldgefühle, und die wurden innerhalb der zwei Tage immer schlimmer. Deshalb habe ich es am dritten Tag einfach nicht mehr ausgehalten und bin zu dir gekommen. Ehrlich!“
„Hm, na wenn du es sagst.... Jedenfalls fand ich es sehr schön, dass du dir Sorgen um mich gemacht hast. Und vor allem, dass du das alles auf dich genommen und dich zu so etwas getraut hast. Und das du die einzige warst, die nicht über mich gelacht hat...“
„Na, das ist doch selbstverständlich.“
„Wohl nur für die wenigsten...“
Lisa bedachte ihn plötzlich mit einem anderen Blick. Gleichzeitig neugierig und skeptisch und in Erwartung auf etwas Bestimmtes. Dann fragte sie Andreas leise: „Sag mal, kann es sein, dass du auf was hinauswillst?“
Andreas sah sie mit leichtem Stirnrunzeln an. Dann mit einem Schlag verstand er, was sie damit meinte und sofort stieg ihm der Puls auf 180 und seine Gedanken verwandelten sich in eine High-Speed-Autobahn. Seine Hände wurden feucht und gleich darauf auch noch seine Windel. Dann spielten sich die gesamten letzten 5 Tage nochmal vor seinem geistigen Auge ab und schlagartig wusste er so klar wie noch nie zuvor, was er wollte. Er wollte sie. Er wollte Lisa! „Wenn nicht jetzt, dann nie,“ sprach eine Stimme in ihm.
„Ich liebe dich Lisa.“
Da war es raus! Ausgesprochen, nicht mehr zurückzuholen und unbeantwortet. Er schaute ihr tief in die Augen. Achtet auf jede einzelne Regung in ihrem Gesicht, die ihm vielleicht Aufschluss über ihr Urteil geben könnte. Augenblicke, Sekunden vergingen und die Spannung in ihm wuchs stetig an. Dann endlich bewegte sie ihre wunderschönen Lippen. „Starr nicht so doof! Ich liebe dich doch auch,“ antwortete sie, beugte sich über den Tisch und küsste ihn auf den Mund.
 
Fortsetzung folgt...

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Vielen Dank!



6 Kommentare:

  1. super geschichte wenn man bedenkt das jemand sich für jemanden anderes zum gespött macht ist schon mächtig mutig da ich mich wenn ich windeln tragen muss ständig unauffälig verhalten muss
    jedenfalls sehr gut geschrieben kannst gerne weiterschreiben , würde gerne wissen wie es weitergeht hoffe das es noch richtig lustig wird für die lachhälse

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  2. Tolle Geschichte, coole Idee und perfekt geschrieben. Hatte seit langen nicht mehr so viel Spaß. Erwarte schon sehnsüchtig den nächsten Teil. Vielen Dank

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  3. Super geworden erwarte schon gespannt den nächsten Teil

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  4. Ich bin ungefähr so Sprachlos wie Andreas als er Lisa gesehen hat...Diese Geschichte ist GENIAL , gegen Ende sogar spannender als Harry Potter-und ich habe alle gelesen-mach bloß so weiter und du wirst es noch SEEEHR weit schaffen.

    MfG CommanderMarci aka MrMarci878 (YouTube)

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  5. bitte weiterschreiben, die Geschichte ist echt süß!!!

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  6. Immer noch einfach genial und sicher auch als Buch gut.

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