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Der Radiowecker ertönte, ein neuer Tag, der 23. Dezember, brach an. Es
war 6:30 Uhr und Andreas wachte aus einer kurzen, unruhigen Nacht auf.
Viel Erholung war ihm nicht vergönnt gewesen, doch damit hatte er auch
nicht unbedingt gerechnet. Die Entscheidung, ob er in die Schule gehen
sollte oder nicht, hatte ihn seit gestern recht gut auf Trab gehalten.
Diese Frage, und welche Überraschung Lisa sich für ihn wohl ausgedacht
haben könnte.
Der verschlafene Teenager richtet sich im Bett auf. Sofort merkte er,
dass er die verkürzte Nacht nicht trocken überstanden hatte. Die Windel
fühlte sich an wie ein warmes, vollgesogenes Sitzkissen und war wohl
kurz vorm Überlaufen. „Schwein gehabt,“ dachte er sich, „Obwohl es
eigentlich erstaunlich ist, dass ein Mensch in der Lage ist, in 3 Tagen
aus nicht mal 2 Litern Cola derart viel Urin zu produzieren. Entweder
hatte ich noch Restbestand oder ich sollte mich mal durchchecken
lassen....“
Andreas schlug die Bettdecke zurück, rieb sich den Schlaf aus den Augen
und ging zum Fenster. Obwohl es noch dunkel war, konnte man klar
erkennen, dass die dicke Wolkenschicht auch heute der Sonne keine Chance
lassen würde. Die volle Windel zwischen seinen Beinen zog ihn
unerwartet stark Richtung Boden, als wolle sie damit klarmachen, dass er
hier in seinem Zimmer bleiben solle. Fast den ganzen restlichen Tag
gestern und quasi die komplette Nacht hatte er über die Standpauke, die
ihm Lisa vorgetragen hatte, nachgedacht, und er hatte sich kurz vor dem
Einschlafen, vermutlich so gegen 5:00 Uhr, zu einer Entscheidung
durchgerungen. Er würde in die Schule gehen! Und das aus den einfachen
Gründen, die ihm seine beste Freundin gestern schon genannt hatte. Es
brachte einfach nichts, wie ein Feigling, noch einen Tag länger hier zu
bleiben und den Kopf einzuziehen. Lieber würde er es jetzt hinter sich
bringen und darüber irgendwann später stolz sein. Ein mulmiges Gefühl
hatte er jetzt, so unmittelbar davor, dennoch.
In der Hoffnung es würde sich auf diese Weise bessern, begann er erst
Mal damit, sich die Nachtwindel abzunehmen. Er legte sich mit dem Rücken
zurück auf sein Bett und begann das Paket, 1 Tena Super Plus Gr. S und
eine in M, aufzumachen. Bereits nach dem Öffnen der ersten Windel
strömte ihm der typisch saure Uringeruch entgegen, der ihn, auf Grund
seiner langjährigen „Erfahrung“, mittlerweile nicht mehr viel ausmachte.
Dass er beim Wickeln die kleinere, noch am Körper verschlossene, Windel
sorgfältig mit einer Nagelschere durchlöchert hatte, bewahrte ihn nun
vor einem nassen Bett. Wieso die Großen Hersteller nicht schon längst
extra Windeln mit einer durchlässigen Außenhülle für darunter auf den
Markt gebracht hatten, war dem junge Windelträger ein Rätsel. Klar es
gab Einlagen, die man stückweise zusätzlich in die Windel legen konnte,
aber das erschien ihm als wesentlich umständlicher, als eine „große
Einlage“ zu verwenden. Vermutlich alles bloß eine Frage des Kommerzes
und der Gewohnheit... Andreas fuhr fort und öffnete nun auch die zweite
Tena und entsorgte beide in den Müll. Danach reinigte er sich selbst mit
ein paar Feuchttüchern und hielt schließlich inne. „Soll ich mir jetzt
wieder Windeln anziehen? Wenn die mich heute wieder alle auslachen,
könnte es leicht passieren, dass ich wie auf dem Eis erneut die
Kontrolle verliere... Und mal abgesehen davon, jetzt weiß es doch eh
schon jeder, also was soll‘s!“
Halbwegs entschlossen holte Andreas also wieder zwei Tena-Windeln aus
seinem Schrank und legte sich zurück aufs Bett. Im
„Do-it-youself-Wickeln“ hatte er mittlerweile schon Übung und so dauerte
es keine 5 Minuten bis alles an seinem Platz war. Ab diesem Zeitpunkt
war er wieder ein „normaler“ 17 Jahre alter Teenager, der mit wenig
Motivation und dafür umso größerer geistiger Abwesenheit seine
allmorgendliche Routine herunterspielte. Socken, Hose, T-Shirt,
Sweatshirt an, heute ohne dabei auf spezielle Vorsichtsmaßnahme zwecks
Verbergung zu achten, im Anschluss hinunter in die Küche und
frühstücken. Als er den Raum betrat, stand seine Mutter schon am
Küchentresen und machte ihm eine paar Brote für die Pause zurecht.
„Merkwürdig... hat die was geahnt? Oder war doch sie es, die Lisa zu mir
geschickt hat,“ fragte er sich.
„Guten Morgen! Na hast du gut geschlafen?“
„Ehrlich gesagt nicht besonders... “ antwortete Andreas und setzte sich langsam an den Küchentisch.
„Oh, das tut mir Leid,“ meinte seine Mutter in bedauerndem Tonfall. Das
war ihrem Sohn etwas zuu normal. Er musste sich Gewissheit verschaffen!
„Schon gut. Sag mal woher wusstest du eigentlich, dass ich ausgerechnet heute wieder in die Schule gehen würde?“
„Na woher schon? Ich bin immerhin deine Mutter, ich kenne dich.“
Damit war er nicht zufrieden: „Aha. Und du hast nicht zufälligerweise
Lisa gestern darum gebeten, bei mir oben im Zimmer vorbeizuschauen,
damit sie mich zum Schule gehen überredet?“
„Nein hab‘ ich nicht. Ich war selbst ein wenig überrascht, als ich sie
gestern plötzlich vor der Tür stehen sah. Wirklich eine echt gute
Freundin hast du da, das muss ich sagen! Aber wenn du schon in aller
Herrgottsfrühe deiner eigenen Mutter gegenüber so skeptisch sein willst,
ich bin deshalb aufgestanden, weil ich beobachten und schlussfolgern
kann. Als Lisa gestern vor der Tür stand, hat sie ein Gesicht wie drei
Tage Regenwetter gemacht und als sie wieder gegangen ist, sah sie wieder
so fröhlich und strahlend aus wie sonst auch. Verstehst du worauf ich
hinaus will Columbo?“ „Klar, immerhin bin ich „dein Sohn“, soll heißen
erblich bedingt muss ich wohl auch ein wenig schlussfolgern können,“
antwortete Andreas, wobei er das „dein Sohn“ übertrieben betonte.
Zur Rache drehte sich seine Mutter um und bewarf ihn mit ein paar
Brotkrümeln. „Werd‘ nicht frech „mein Sohn“,“ meinte sie danach und
drohte ihm scherzhaft noch mit erhobenem Finger.
„Was willst du dagegen tun? Mir macht’s nichts aus wenn du den Boden dreckig machst. Ich muss ja nicht staubsaugen.“
„Na warte!“ Seine Mutter stürzte sich auf ihn und hob den Stuhl von
hinten auf, sodass Andreas herunterfiel und lachend auf allen Vieren
landete. Seine Mutter stimmte in das Lachen mit ein und sah außerdem die
Windel aus der Hose ihres Sohnes hervorblitzen, woraufhin sie ihn
ansprach: „Du trägst ja heute sogar freiwillig eine Windel.“ Andreas‘
Lachen ebbte daraufhin schnell ab und er stand wieder auf. Er erklärte
ihr, wieso er sich dazu entschlossen hatte und er erzählte ihr von der
Überraschung, die Lisa sich für ihn ausgedacht hatte. Als er sie danach
fragte, wusste seine Mutter auch nicht weiter. Sie munterte ihn
stattdessen noch ein wenig auf: „Du wirst sehen, es wird halb so schlimm
und nachher bist du mit Sicherheit froh, dass du es durchgezogen hast.
Lass dir am besten einfach nichts anmerken und Lisa wird dir sicher auch
beistehen. Außerdem bedenk‘ doch mal Folgendes: Jetzt weißt du
zumindest auch, wer von denen ein wahrer Freund war und wer nicht. Sei
froh darum!“
Und so machte Andreas sich schließlich auf den Weg. Er putzte noch seine
Zähne, packte die Jause in die Schultasche, zog sich an und schloss die
Tür hinter sich. Auf dem Weg zur Bushaltestelle fühlte er sich
tatsächlich ein wenig besser. Erst als das Wellblechdach des dunkeln
Holzhäuschens in Sichtweite kam, fing sein Herz wieder an zu rasen.
„Bleib einfach ruhig. Ganz ruhig. So ist es am besten für dich! Wenn du
dir nichts anmerken lässt, werden sie dich vermutlich sowieso schnell in
Ruhe lassen,“ waren die letzten motivierenden Gedanken an sich selbst,
kurz bevor er zu Haltestelle kam. Noch einmal tief durchgeatmet und mit
einem Schritt stand er direkt vor Alex und Martin, zwei seiner Ex-besten
Freunde.
Als sie ihn bemerkten, machte sich auf ihren Gesichtern sofort ein
breites Grinsen breit. „Na sieh mal an wer heute tatsächlich aus seinem
Bettchen hat aufstehen dürfen. Ist es nicht noch ein wenig zu früh für
so einen kleinen Hosenscheißer wie dich,“ höhnte Alex ihn an, woraufhin
Martin zu lachen anfing. Andreas antwortete nichts darauf und zeigte
auch sonst keine Regung.
„Was is‘ los? Kannst du noch nicht sprechen? Hat dir deine Mami das noch
nicht gelernt,“ fuhr Alex in einer lächerlichen Babysprache fort. Der
Angesprochene zeigte weiterhin keinerlei Reaktion.
„Hey vielleicht hat er sich ja gerade in die Hosen gemacht und ist
deswegen sprachlos,“ stimmte nun auch Martin in den Spott mit ein. Die
beiden lachten wieder laut auf, dann sagte Alex mit einem höhnischen
Grinsen: „Ja da hast du Recht. Wir sollten ihm einen Gefallen tun und
mal nachsehen, meinst du nicht auch?“
„Ja ich denke das würde er uns hoch anrechnen!“
Alex kam breit lächelnd und langsam auf Andreas zu, machte einen
schnellen Ausfallschritt auf die Seite und langte von hinten nach seinen
Armen um ihn festzuhalten. Martin kam von vorne auf ihn zu und griff
nach seinem Gürtel. Die beiden wollten ihm wohl tatsächlich die Hose
runterziehen. „Aber nicht mit mir,“ dachte sich Andreas.
Martin machte sich gerade daran seine Gürtelschnalle zu öffnen, als ihm
der vermeintlich wehrlose mit dem rechten Bein kräftig in den Schritt
trat. Daraufhin heulte dieser laut auf und krümmte sich am Boden
zusammen. Alex hielt ihn immer noch fest und Andreas versuchte sich mit
Hilfe von heftigen Ruckbewegungen loszureißen. „Hast du n’Knall? Du
kannst ihm doch nicht einfach in die Eier treten! Was ist nur los mit
dir? Und ich dachte echt mal wir wären Freunde,“ schrie ihm Alex von
hinten ins Ohr. Andreas wollte gerade zu einer bissigen Antwort
ansetzten, als plötzlich jemand anders ihm zuvor kam.
„Hört auf,“ schrie Lisa laut hörbar in den Tumult hinein. Während ihres
Ringens war sie ihnen gar nicht aufgefallen. Umso größer war die
Überraschung nun, als sie unerwartet und breitbeinig vor ihnen auf der
Bildfläche erschien, um ihnen Einhalt zu gebieten. Dazu hätte sie aber
im Nachhinein gesehen wahrscheinlich nicht einmal den Mund aufmachen
müssen. Andreas und Alex starrten sie beide mit gleichermaßen weit
aufgerissenen Mündern und Augen an. Die „Überraschung“ hatte ihre
Wirkung nicht verfehlt!
Lisa stand dort vor ihnen, dick gewickelt und mit einer engen, weißen
Jeans, hohen, braunen Wildlederstiefeln, einer rosa Daunenjacke und
einer weißen Strickmütze mit Fellbommel bekleidet. Sie sah die beiden
ernst an, was obgleich ihrer Garderobe ein wenig lächerlich wirkte, doch
immer noch sprach niemand ein Wort. Andreas riss sich reflexartig von
Alex los, der aber auch überhaupt keine Anstalten mehr machte, Gegenwehr
zu leisten. Es gab ihm jedoch den nötigen Impuls und er fing wieder an
zu lachen. Er lachte schließlich so heftig, dass er in die Knie gehen
musste und sich den Bauch hielt. Es wirkte irgendwie grotesk, fast wie
aus einem Comic. Martin konnte nicht wirklich miteinstimmen, und wenn
dann nur 2 Oktaven höher als üblich, was ihm wohl aber eher peinlich
gewesen wäre. Als es schon beinah absurd wurde, wollte Andreas wieder
auf Alex losgehen, doch Lisa hielt ihn sanft zurück. Irgendwann erfing
sich Alex wieder und stand auf: „Das wird ja von Tag zu Tag besser! Ich
glaub’s nicht, hättest du noch mehr Freunde, würde sich vermutlich bald
die halbe Klasse wickeln lassen!“
„Auf Freunde wie dich kann er verzichten! Du armseliger, unterbelichteter Vollidiot,“ giftete ihm Lisa zurück.
„Was, ich soll der Vollidiot sein? Sie dich doch mal selber an. Du siehst aus wie ein Baby!“
„Na und? Vielleicht gefällt es mir.“
„Ja genau! Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass es
Menschen auf diesem Planeten gibt, die freiwillig gerne ein Baby
wären.“
„Dann solltest du vielleicht mal die Augen aufmachen und dein Hirn
einschalten. Hier steht nämlich einer vor dir! Hast du etwa ein Problem
damit?“
„Ob ich ein... hahahaha, ob ich ein Problem damit habe? Sehe ich etwa so
aus? Ich glaub ich hab‘ seit Jahren nicht mehr so herzhaft gelacht!“
„Freut mich, wenn ich anderen Menschen so leicht eine Freude bereiten
kann. Obwohl du ehrlich gesagt auf mich eher wie eine verräterische,
scheinheilige, egoistische Ratte wirkst!“
„Hey jetzt beschimpf du mich nicht als scheinheilig. Du hast doch
genauso über ihn gelacht, als er sich in die Hosen geschifft hat!“
Andreas warf Lisa einen schnellen, entsetzten Blick zu. Diese schüttelte
daraufhin leicht den Kopf und antwortete gelassen: „Keine Ahnung ob
nicht noch jemand auf dem Eis war, der mir ähnlich sah und mit dem du
mich verwechselt hast, denn du hättest mich gar nicht sehen können.
Falls es dir nicht aufgefallen ist, ich lag hinter ihm. Ich war
diejenige die ihm die Hose runtergerissen hat und dann mit dem Gesicht
nach unten auf’s Eis gekracht ist.“
„Pff, wenn du meinst. Mann ich weiß echt nicht warum du dir das antust.
Was willst du mit diesem armen Hosenpisser? Du bist doch tausendmal was
Besseres als der und im Gegensatz zu ihm steht dir die Windel auch noch
ungefähr gleichmal so viel mehr.“
„Ohhhh, danke für das Kompliment,“ antwortet Lisa und blinzelte dabei
zuckersüß mit den Augen, „Aber im Gegensatz zu dir kommt es mir nicht
auf irgendwelche Krankheiten an, die jemand hat oder nicht und für die
man nichts kann. Mir ist er allemal lieber als du, verlogene Schlange,
und dieser Wurm dort unten!“
„Hey jetzt werd‘ nicht frech sonst...“
„Sonst was? Willst du etwa ein kleines, windeltragendes Mädchen schlagen? Oh wie tapfer von dir!“
Andreas hatte dem ganzen bisher nur gleichermaßen erstaunt und amüsiert
zugesehen, aber jetzt konnte er sich ein Grinsen nicht mehr verkneifen.
Unglaublich wie frech und selbstsicher Lisa in diesem Aufzug sein
konnte. Er konnte sie dafür nur bewundern! Obwohl sie von ihnen beiden
eindeutig kindlicher aussah, kam er sich nun wie das eigentliche Baby
vor. Er hätte sich das wahrscheinlich nie im Leben getraut. Ohne ihre
Hilfe wäre er mit Sicherheit immer noch zu Hause und würde den Kopf in
den Sand stecken. Einfach unglaublich!
Martin hatte sich in der Zwischenzeit erholt und stand wankend neben
Alex. Er blickte ihn zornig an. Andreas empfand kein bisschen Mitleid
für ihn. Er war selbst schuld daran! Bevor die Diskussion zwischen Lisa
und Alex noch weiter gehen konnte, fuhr der Schulbus ein, was Andreas
irgendwie schade fand. Er hätte die Auseinandersetzung zu gerne weiter
beobachtet.
Alex und Martin waren, nachdem sie ihnen noch einen giftigen Blick
zugeworfen hatte, schon eingestiegen und Andreas wollte gerade Richtung
hinteren Eingang gehen, um nicht zwanghaft viel Aufmerksamkeit zu
erregen. Da zupfte Lisa ihn am Ärmel und sagte: „Hey, so kommst du mir
heute nicht davon,“ und führte ihn zum vorderen Eingang, „Ich hab‘ mich
doch extra so hübsch gemacht, da wär’s doch schade, wenn es dann nur der
halbe Bus so richtig mitbekommen würde.“ Sie lächelte ihn dabei wieder
an. Scheinbar war sie bisher hochzufrieden mit dem Ablauf ihrer
Überraschung. Er lachte zurück, sagte „Du bist der Wahnsinn!“ zu ihr und
folgte ihr dann widerstandslos.
Als sie den Bus betraten schrie Alex von hinten, aus dem Schutz der
Masse: „Aufpassen, da kommt das jüngste Pärchen der Welt. Beide machen
sich noch die Hosen voll, aber genauso voller Leidenschaft ist auch ihre
Liebe!“ Er erntete dafür schallendes Gelächter von allen Insassen,
abgesehen vom Busfahrer, der nur genervt die Türen zuschnappen ließ und
irgendetwas von „scheiß Kinder“ murmelte, bevor er den Bus wieder in
Bewegung setzte. Obwohl gerade so ziemlich das „Worst-Case-Szenario“
eintrat, das Andreas sich erdacht hatte, und zwar, dass wieder alle
lauthals über ihn lachen würden, hielt der inkontinente Schüler
überraschenderweise dicht. Er schrieb diesen Erfolg voll und ganz Lisa
zu, die es tatsächlich geschafft hatte, dass er sich in keinster Weise
ausgesetzt oder gedemütigt fühlte. Dadurch, dass sie mit der ganzen
Sache so selbstsicher und locker umging, und die Aufmerksamkeit mit
ihrem Outfit mindestens zweiteilte, war es für Andreas gut erträglich.
Vor Allem die Tatsache, dass sie das alles freiwillig und nur für ihn
tat, ließ ihn sämtliche Sorgen und Bedenken vergessen, und, er konnte es
nicht verleugnen, den Schultag ein wenig genießen.
Die erste Aufregung hatte sich ein wenig gelegt und nachdem der
Busfahrer sie beide angeschnauzt hatte, sich gefälligst hinzusetzten,
stolzierte Lisa, als wäre sie ein Catwalk-Modell, den schmalen Gang im
Bus hinunter, bis zur vorletzten Reihe, in der noch zwei Plätze frei
waren. Andreas folgte ihr, wenn auch nicht mit der gleichen vollendeten
Eleganz. Während der Busfahrt flaute die Erregung der Masse immer weiter
ab und schließlich ließ man die beiden kurz vor Erreichen der Schule
sogar in Ruhe. Da fragte Lisa Andreas schließlich mit breitem Grinsen:
„Und gefällt dir die Überraschung bis jetzt?“
„Also wirklich, mir fehlen fast die Worte! Als du da vorhin an der
Haltestelle urplötzlich aufgetaucht bist, hätt‘ ich mir sogar fast in
die Hose gemacht... vor Überraschung,“ antwortete Andreas mit einem
Zwinkern.
„Ganz ehrlich, das hat man dir auch angesehn‘! Aber du warst trotzdem
nie so kurz davor wie Alex. Ich glaub ich hab‘ es da schon ganz leicht
tröpfeln gehört... “ erwiderte Lisa mit verschwörerischem Blick. Der Bus
bog gerade auf dem großen Wendeplatz vor der Schule ein, als Lisa
wissen wollte: „Und bist du bereit?“
„Auf jeden Fall!“
„Ich meine auf Teil 2...“
„Wieso? Was hast du...,“ setzte Andreas an, doch da zog Lisa schon einen
rosa Schnuller aus der linken Tasche ihrer Daunenjacke hervor und
steckte ihn sich in den Mund. Ihm fiel zum zweiten Mal an diesem Tag die
Kinnlade fast auf den Boden, woraufhin sie schelmisch meinte: „Mach
wiiedäh tschu, ßonßt krigst du auch ainen!“
Sie stand auf und tapste breitbeinig wie ein kleines Kind hinter den
restlichen Schülern her. Von denen hatte bisher noch niemand etwas
gemerkt, doch als sie alle ausgestiegen waren, machte sich der übliche
Verdächtige, Alex, sofort wieder bemerkbar: „Hahaha, ich kann heut‘
glaub‘ ich doch nicht in die Schule hahahaha, schnell bringt mich zum
Arzt, ich erstick gleich vor lauter Lachen hahaha.“ Viele derer, die
noch nicht außer Hörweite waren, stimmten wieder ein, doch Lisa konnten
sie damit immer noch nicht beeindrucken. Sie ging auf Alex zu, der das
wegen seiner heftigen Zwerchfellattacken gar nicht richtig mitbekam, und
stellte sich mit leicht gespreizten Beinen vor ihn hin. Als Alex das
schließlich bemerkte, blickte er sie amüsiert an und fragte: „Oh, lässt
du es jetzt vor mir laufen? Du böses Mädchen! Das darf man ab... ahhhh!
Du Miststück, was soll der Scheiß?“
Lisa hatte ihn mitten unter seiner selbstgefälligen Rede einfach
rücklings in einen Schneehaufen geschubst, wo er nun fluchend und
hilflos auf dem Rücken liegend dalag. Als Gegenreaktion auf Alex‘
Beschimpfungen nahm sie nun auch noch die Beine, soweit es mit dem
dicken Windelpacket ging, zusammen, ging leicht in die Knie, legte die
linke Hand darauf und verdeckte mit der rechten flachen Hand ihren Mund,
in dem noch immer der rosa Schnuller steckte. Eine typische
Marylin-Monroe-Geste gefolgt von einem unschuldigen „Uuuups“, das man
wegen des Schnullers allerdings leider nicht so genau verstand. Jetzt
war sie es plötzlich, die ein paar Lacher auf ihrer Seite hatte. Danach
ging sie mit Andreas Hand in Hand ohne ein weiteres Wort Richtung
Schuleingang.
In der Garderobe enthüllte sich schließlich noch der letzte Teil ihrer
Überraschung. Zwar nicht mehr ganz so schockierend aber doch für ein
paar dämliche Blicke gut, war das weiße, etwas zu kleine T-Shirt, mit
einem Prinzessin Lillifee-Motiv als Aufdruck. Darüber trug Lisa noch
eine einheitlich rote Sweat-Shirt-Jacke.
„Mir scheint, du hast auf jedes Detail geachtet,“ bemerkte Andreas.
„Naatüalitsch, daas isch toch...“
„Sei doch so gut und nimm den Schnuller zumindest zum Sprechen heraus,“
unterbrach Andreas sie schnell. Lisa zog ein trauriges Gesicht und
befolgte dann aber doch lachend seine Bitte.
„Hast Recht, so geht’s einfacher. Also, was ich sagen wollte: Natürlich,
das ist doch selbstverständlich! Das Shirt hab ich mir, wie man ja
deutlich erkennen kann, von meiner kleinen Schwester stibitzt. Die Jacke
ist von meinem Papa. Nur für den Fall, dass mich ein Lehrer wegen
dieses ultraheißen und knappen Teils blöd anmacht.“
„Das ist genial,“ lachte Andreas.
„Und das für ne‘ 1-jährige, nicht schlecht oder?“
„Ganz und gar nicht. Zu der Zeit war ich noch nicht mal trocken!“
„Haha, der war auch gut!“
Die beiden machten sich auf den Weg in ihre Klasse. Lisa verzichtete
dabei wieder auf ihren Schnuller. Der restliche Schultag verlief ohne
weitere wirklich aufregende Ereignisse. Den meisten Lehrern schien
Lisas‘ merkwürdiges Outfit gar nicht aufzufallen. Sie waren wohl
allesamt schon im Ferienmodus und kontrollierten bloß die Anwesenheit
ihrer Schüler und schoben danach gleich einen uralten Film nach dem
anderen in den Fernseher hinein. Als der Tag um war und Lisa sich bei
Andreas darüber beschwert hatte, dass keinem dieser abgestumpften
Professoren ihr neuer Look aufgefallen war, gingen die beiden noch ins
örtliche Kaffee. Dort angekommen bestellten sie sich zwei Latte
Macchiato und zwei Eisbecher. Als sie fertig waren fragte Andreas Lisa
schließlich die Frage, die ihn schon seit gestern geplagt hatte: „Hat
meine Mama dich eigentlich gebeten, dass du bei mir vorbeischaust?“
Lisa zog die Augenbrauen zusammen. „Nein, wie kommst du drauf?“
„Naja, um ehrlich zu sein, dass du dir wegen des kleinen Vorfalls auf
dem Eislaufplatz wirklich so ein schlechtes Gewissen gemacht hast, kam
mir ein wenig Spanisch vor.“
„Das war aber nicht vorgespielt, das kannst du mir glauben. Ich hatte
wirklich große Schuldgefühle, und die wurden innerhalb der zwei Tage
immer schlimmer. Deshalb habe ich es am dritten Tag einfach nicht mehr
ausgehalten und bin zu dir gekommen. Ehrlich!“
„Hm, na wenn du es sagst.... Jedenfalls fand ich es sehr schön, dass du
dir Sorgen um mich gemacht hast. Und vor allem, dass du das alles auf
dich genommen und dich zu so etwas getraut hast. Und das du die einzige
warst, die nicht über mich gelacht hat...“
„Na, das ist doch selbstverständlich.“
„Wohl nur für die wenigsten...“
Lisa bedachte ihn plötzlich mit einem anderen Blick. Gleichzeitig
neugierig und skeptisch und in Erwartung auf etwas Bestimmtes. Dann
fragte sie Andreas leise: „Sag mal, kann es sein, dass du auf was
hinauswillst?“
Andreas sah sie mit leichtem Stirnrunzeln an. Dann mit einem Schlag
verstand er, was sie damit meinte und sofort stieg ihm der Puls auf 180
und seine Gedanken verwandelten sich in eine High-Speed-Autobahn. Seine
Hände wurden feucht und gleich darauf auch noch seine Windel. Dann
spielten sich die gesamten letzten 5 Tage nochmal vor seinem geistigen
Auge ab und schlagartig wusste er so klar wie noch nie zuvor, was er
wollte. Er wollte sie. Er wollte Lisa! „Wenn nicht jetzt, dann nie,“
sprach eine Stimme in ihm.
„Ich liebe dich Lisa.“
Da war es raus! Ausgesprochen, nicht mehr zurückzuholen und
unbeantwortet. Er schaute ihr tief in die Augen. Achtet auf jede
einzelne Regung in ihrem Gesicht, die ihm vielleicht Aufschluss über ihr
Urteil geben könnte. Augenblicke, Sekunden vergingen und die Spannung
in ihm wuchs stetig an. Dann endlich bewegte sie ihre wunderschönen
Lippen. „Starr nicht so doof! Ich liebe dich doch auch,“ antwortete sie,
beugte sich über den Tisch und küsste ihn auf den Mund.
Fortsetzung folgt...
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Vielen Dank!
super geschichte wenn man bedenkt das jemand sich für jemanden anderes zum gespött macht ist schon mächtig mutig da ich mich wenn ich windeln tragen muss ständig unauffälig verhalten muss
AntwortenLöschenjedenfalls sehr gut geschrieben kannst gerne weiterschreiben , würde gerne wissen wie es weitergeht hoffe das es noch richtig lustig wird für die lachhälse
Tolle Geschichte, coole Idee und perfekt geschrieben. Hatte seit langen nicht mehr so viel Spaß. Erwarte schon sehnsüchtig den nächsten Teil. Vielen Dank
AntwortenLöschenSuper geworden erwarte schon gespannt den nächsten Teil
AntwortenLöschenIch bin ungefähr so Sprachlos wie Andreas als er Lisa gesehen hat...Diese Geschichte ist GENIAL , gegen Ende sogar spannender als Harry Potter-und ich habe alle gelesen-mach bloß so weiter und du wirst es noch SEEEHR weit schaffen.
AntwortenLöschenMfG CommanderMarci aka MrMarci878 (YouTube)
bitte weiterschreiben, die Geschichte ist echt süß!!!
AntwortenLöschenImmer noch einfach genial und sicher auch als Buch gut.
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